2015

3. Oberurseler Werte- und Wirtschaftskongress:
Kompetent und humorvoll, hoch hinaus und bodenständig

„Bei allem was man tut, sollte man auch das Ende bedenken.“ Mit diesem Zitat von Eric Schweitzer definierte Michael Reuter, 1. Vorsitzender von fokus O, den Begriff Nachhaltigkeit und eröffnete den 3. Werte- und Wirtschaftskongress in Oberursel. Etwa 170 Personen verfolgten gespannt einen gehaltvollen, sehr abwechslungsreichen Kongresstag, bei dem diskutiert, argumentiert, aber auch viel gelacht wurde.

Gleich zur Begrüßung nahmen sowohl Bürgermeister Hans-Georg Brum als auch Michael Reuter Bezug auf Aktuelles. Oberursel habe im Mittelpunkt eines geplanten terroristischen Anschlags gestanden, mutmaßliche Attentäter hätten „unter uns“ gelebt, dies schüre Ängste auch in einer sonst so weltoffen agierenden Stadt, in der Migranten viel Hilfsbereitschaft erlebten, so der Bürgermeister. Einblicke in die Welt des großen Geldes stellte Michael Reuter mit dem Kongress in Aussicht und fragte anders nach: „Verdirbt Geld die Moral des Menschen?“ Auf vergessene Werte bezog sich auch Prof. Dr. Mathias Müller, Präsident der IHK Frankfurt am Main und Schirmherr des Kongresses. Das Datum 8. Mai stehe für das Ende des 2. Weltkrieges, vor 70 Jahren habe ein Volk kapituliert, „das nicht mehr wusste, welche Werte gelten.“

Die Gegenwart hingegen sieht der IHK-Präsident (und mit ihm viele Referenten des Kongresses) positiv. Gerade die Region Rhein-Main mit weiterhin wachsender Bevölkerungszahl, überdurchschnittlicher Wertschöpfung und hoher Diversifikation durch viele mittelständische und kleine Betriebe sei gut durch die Krise gekommen, hiervon profitiere nachweislich nicht nur Frankfurt, sondern auch das Umland. Ein nachdrückliches Plädoyer hielt er für den Erhalt des dualen Ausbildungssystems in Deutschland, um das die Bundesrepublik im Ausland beneidet werde.

Am Vormittag des Kongresstages, der kompetent und anregend vom Politologen und Autor Jürgen Schultheis moderiert wurde, drehte sich alles um Geld, Finanzierung und Finanzwelt. Sehr eindrücklich schilderte Stefan Messer, Chief Executive Messer Group GmbH, wie er das früher unter dem Namen Messer Griesheim bekannte Unternehmen mit Hilfe von Finanzinvestoren für die Familie und für eine Unternehmensführung nach seinen Prämissen zurückgewinnen konnte. Herbe Einschnitte und der Verkauf des deutschen Stammgeschäfts waren dazu nötig, seit 2004 wurde keine Dividende ausgeschüttet, gleichzeitig begann die Wertediskussion. Heute ist die Messer Group am Standort Bad Soden fest verankert und übernimmt hohe soziale Verantwortung – nicht nur gegenüber den Mitarbeitern.

Cornelia Lamers, Abteilungsdirektorin KfW Mittelstandsbank, umriss die Aufgaben der Kreditanstalt für Wiederaufbau, die Kreditanträge prüft und an die Hausbanken „durchleitet“, das Neutralitätsprinzip ist gewahrt. Aktuell hat die KfW einen starken Schwerpunkt in Klimaschutz und Umwelt gelegt, denn „die Energiewende soll bezahlbar sein und die deutsche Wirtschaft gleichzeitig antreiben.“ 60 Milliarden Euro Kreditzusagen im Rahmen des Aktionsplans Energiewende seit 2011 sprechen für sich. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Förderung des Mittelstands mit mehreren Programmen.

Eine ganz andere Form der Finanzierung präsentierte der Zukunftsforscher Patrick Mijnals, Geschäftsführer der bettervest GmbH. Sein Unternehmen fördert Projekte pro Energieeffizienz sowie Erneuerbare Energien mit Crowdfunding. Viele Energieprojekte in Unternehmen scheiterten, so Mijnals, weil liquide Mittel eher in geldbringende Investitionen als in Energieeinsparung gesteckt würden und das Einsparpotenzial oft nicht bekannt sei. Doch die online-basierte Finanzierung durch Bürger, die danach an den Einsparungen beteiligt würden, funktioniere. Es gebe viel zu tun, denn geschätzte 17,5 Billionen Dollar seien einzusparen. Sein Motto: Don’t panic, organize!

Mit Spannung erwartet wurde der Auftritt des Ex-Hedgefonds-Managers Florian Homm, der aus Oberursel stammt und in seinem Vortrag Licht gegen Schatten, das Ego gegen die Seele stellen wollte. Ein Kurzfilm unterstrich ein zunächst aus Sicht von Homm äußerst erfolgreiches Leben als Lebemann und Fonds-Manager, „dem Werte und Nachhaltigkeit total egal sein müssen.“ Dann schilderte Homm seinen Absturz, die Haft in Italien, Einsamkeit und Leere, schließlich seine Bekehrung zum christlichen Glauben. Heute fühle er sich besser als auf der Höhe seiner Macht. Die Resonanz auf diesen Vortrag blieb verhalten, in der Pause hörte man viele nachdenkliche Töne über Geld, Macht und wie sie den Menschen beeinflussen.

Kritisch auf den Prüfstand stellte Prof. Dr. Thomas Schüller, der Kirchenrecht an der Universität in Münster lehrt, die gesellschaftspolitische Rolle der Kirche. Der Reichtum der deutschen Bistümer sei mit der Forderung von Papst Franziskus nach einer „armen Kirche für die Armen“ konfrontiert. Auf die Wirren um das Bistum Limburg eingehend sprach Schüller von Ämterhäufung und mangelnder Kontrolle: „Das geht nur so lange gut, wie alle ehrenwert handeln.“ Im Ausland werde die deutsche katholische Kirche trotz ihres Vermögens bedauert: „Die Bänke sind leer, die Kassen sind voll.“ Allerdings sei es ein Trugschluss, anzunehmen, dass die Bänke voller würden, wenn die Kassen leerer würden.

Nach der Mittagspause wurde ein eventuelles Bio-Tief der Kongressteilnehmer mit dem Thema „Humor als Führungskompetenz“ aufgefangen. Hubertus Spieler und Stefan Röder, beide Gesellschafter im Team Benedikt, Würzburg, rangen spielerisch um die Gunst des Publikums und warfen sich dabei die Bälle in Form von Argumenten um die Ohren: Stehen die Seriosität einer Führungskraft, Humor und Lachen im Widerspruch? Unter anderem war zu erfahren, dass der Mensch beim Lachen 97 Muskeln bewegt. Und wer bringt schon Humor mit Humus in Verbindung? Humus – Dünger – Mist – „Humor ist der Dünger im eigenen Lebensmist“ – wenn das kein Trost ist!

Wie es lokale Unternehmen schaffen, sich nachhaltig im Wettbewerb zu behaupten, war Thema zweier parallel laufender Foren. Die Besucher verfolgten gerade diesen Teil des Kongresses mit größtem Interesse, viele wechselten mehrfach den Raum, um möglichst viel mitzubekommen. Während Jürgen Windecker erläuterte, warum er es sich neben seinem Ladengeschäft „leistet“, selbst Uhren herzustellen, zeigte der Fotograf Rafael Neff im Parallelforum ebenfalls Uhren – mit einer Tiefenschärfe, die die Wertigkeit der Produkte zu 100 Prozent zeigt. Offene Türen rannte Christian Ruzicka, Chocolatier aus Leidenschaft, ein, als er erklärte, warum Schokolade glücklich macht. Gleichzeitig zeigte Markus Janista in Bildern auf, wie künstlerisch und aufwertend Graffiti sein kann – sogar verunreinigte Flächen können übersprüht und so zur Augenweide werden. Albert Eckert, Seniorchef der der Weppler Filter GmbH, dessen Unternehmen von Oberursel aus 800 Millionen Filter in alle Welt sendet, beschrieb einen typischen deutschen Mittelstandsbetrieb und dankte ausdrücklich der IHK, die ihn vor Jahren drängte, junge Menschen auszubilden – was ihn jetzt der Nachwuchssorgen enthebt. Zur gleichen Zeit wurde im parallel laufenden Forum die Geschichte des Nassklebestreifens von Thomas Erbacher nachvollzogen – der Erfindung des Apothekers Julius Neubronner, die heute wieder mächtigen Aufschwung erlebt, weil Kartons mit Nassklebestreifen nicht zerstörungsfrei geöffnet und mühelos recycelt werden können.

Zur abschließenden Podiumsdiskussion zum Thema „Unternehmerisches Denken und Werteorientierung bei jungen Menschen – Wunschvorstellung oder Realität?“ wurden von Prof. Dr. Alexander Ebner und Nina Rodmann die Ergebnisse einer Studie zum potenziellen Wertewandel bei jungen Menschen präsentiert. Die wichtigsten Ergebnisse: Arbeitsplatzsicherheit, gutes Einkommen sowie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind Menschen auf der Schwelle zum Berufsleben am wichtigsten, ein Wandel hin zu post-materiellen Werten scheint wenig ausgeprägt. Vivien Eller, die gerade ihr Abitur ablegt, begeisterte mit einer Schilderung darüber, wie im Internat Schloss Hansenberg Wirtschaft greifbar und Teamfähigkeit mit sehr konkreten Projekten erprobt wird. Sie entwickelte zum Beispiel im Team mit anderen Schülern im Rahmen eines Schülerfirmenwettbewerbs einen preisgekrönten Schlüsselanhänger zum Datenaustausch. Genau solche Schülerwettbewerbe fördert das Institut der deutschen Wirtschaft mit der JUNIOR GmbH, die von Felix Hettig vertreten wurde. Er machte darauf aufmerksam, dass derzeit auch in Hessen wieder eine neue Wettbewerbsrunde startet. Dr. Mathias Schäfer von der Fingerhaus GmbH und Preisträger des begehrten Wirtschaftspreises „Hessenchampions 2014“ in der Kategorie Jobmotor, stellte sehr beeindruckend vor, wie sich ein Unternehmen als attraktives Ausbildungsunternehmen positionieren kann und präsentierte ein Projekt mit Azubis seines Unternehmens, die mit viel Engagement in Ruanda gemeinsam mit einheimischen Studenten der Rubengera Technical Secondary School, einer Fachschule zur Holzverarbeitung, einen Pavillon für die Schule aufgebaut hätten, Lerneffekte für alle Beteiligten inklusive. Brigitte Cichy, stellvertretende Personalleiterin der Taunussparkasse, macht die Erfahrung, dass die Wünsche der Generation Y, Talente und Mitsprache einzubringen, durchaus zu den Anforderungen einer sich schneller drehenden Welt passen. Joshua-David Gran bestätigte den nachhaltigen Mehrwert von Projekten an Schulen, die das unternehmerische Denken fördern anhand des Projektes TuN e.V. Das Projekt wurde 2011 Sieger des Schulen Preises Schulen.Leben.Zukunft. von fokus O.

Nun wurde zum zweiten Mal der Schulen Preis vergeben: Sieger 2015 ist die Frankfurt International School mit einer Bildungsinitiative für blinde Jugendliche in Indien „Vision for India“. Platz zwei und drei gingen an die Feldbergschule für die Projekte „ Der eBay-Onlineshop der Feldbergschule Oberursel“ und „Fit zum Beruf“. Joshua-David Gran übergab den Wanderpokal „Werte“ an die verdienten Sieger.

„Wert oder nicht wert“ – das also war zum dritten Mal die Frage beim Werte- und Wirtschaftskongress. Moritz Stoepel stellte sie zum Abschluss des Tages künstlerisch mit Liedern und Gedichten aus mehreren Jahrhunderten. Er schloss mit einem Gedicht von Mascha Kaleko, in dem es heißt, dass die Welt am siebenten Tag eben doch noch nicht fertig war. Einen Vorteil immerhin hat dies: Es gibt genügend Stoff für weitere Werte- und Wirtschaftskongresse. Die Organisatoren Michael Reuter, Anke Berger-Schmitt, Werner Ronimi und Manuela Wehrle haben schon viele Ideen.