2021

6. Oberurseler Werte- und Wirtschaftskongress: Klimawandel, Faktor Mensch und Gemeinwohlökonomie

Trotz Corona Pandemie fand die seit 2011 etablierte Veranstaltung am 21. Mai 2021 wie geplant im zweijährigen Turnus statt. Die Vortragenden aus Gesellschaft, Wirtschaft, Kirche und Politik diskutierten im Laufe des Tages mit bis zu 180 interessierten Teilnehmenden die aktuell wichtigsten Aspekte werteorientierten Wirtschaftens. Zum zehnjährigen Jubiläum fand der 6. Oberurseler Werte- und Wirtschaftskongress zum ersten Mal als Digitalkongress statt. „Wir waren in der Planung skeptisch, wie unser Publikum den Kongress online annehmen würde. Aber es war ein großer Erfolg, wir konnten sogar etwas mehr Teilnehmende erreichen als beim letzten Mal“, so Michael Reuter aus dem Organisationsteam des fokus O.

Klimawandel, Faktor Mensch und Gemeinwohlökonomie – die wichtigsten Trends für werteorientiertes und nachhaltiges Wirtschaften

Gemeinsam Lösungen für ein nachhaltiges Zusammenleben zu erarbeiten, sagte der Oberurseler Bürgermeister Brum in seinem Grußwort. Wie überlebenswichtig die Bekämpfung des Klimawandels ist, machte zum Auftakt Klimaexperte und HR-Moderator Thomas Ranft klar. Sind zwei Grad Klimaerwärmung denn so schlimm? Wie stark die Wirkung auch kleiner Klimaänderungen ist, erklärte Ranft eindrücklich: „Die letzte Eiszeit war auch nur vier Grad kälter als unser Klima heute!“

„Träumen Sie ihre Zukunft!“

Die Menschheit verhalte sich wie eine Bande Räuber, die ihren eigenen Supermarkt plündert und verwüstet, sich bedient und geht, ohne zu bezahlen. „Wie blöd ist das denn? Das ist unser Supermarkt“, so Ranft, „deshalb stört mich die Trennung – hier Mensch und dort Umwelt. Wir sind die Umwelt!“ Der Klimaexperte forderte die Politik auf, ehrlich zu sein und die Menschen zu motivieren, etwas zu tun. „Träumt von einer traumhaften Zukunft – und handelt entsprechend“, fordert Ranft.

Der Unternehmer und Autor Dr. Dirk Gratzel beschrieb seine persönliche Suche nach Lösungen. „Was muss ich tun, um meine Ökobilanz zu ermitteln und zu korrigieren?“, so Gratzel. Gemeinsam mit der TU Berlin ließ er seine komplette Ökobilanz bis ins letzte Detail berechnen – ein sehr aufwändiger Prozess, den er sich einfacher vorgestellt hatte. Im zweiten Schritt hat er seinen persönlichen Fußabdruck auf ein Viertel seines bisherigen CO2-Verbauchs reduziert. „80 Prozent meines CO2 stammten aus den Bereichen Mobilität und Ernährung. Heute fahre ich Bahn und esse vegan. Nur den Kaffee konnte ich mir nicht abgewöhnen“, berichtete der Ökoaktivist. Für die Zukunft will er seine bisherigen CO2-Schulden über grüne Projekte abtragen. Sein Ziel ist die grüne Null zum Lebensende – deshalb heißt sein Projekt „Green Zero“.

Faktor Mensch

Dies griff Hubertus Spieler im zweiten Themenblock auf. „Auf die innere Haltung kommt es an, bestätigte er die Quintessens der beiden Vorredner“. Das Heil unserer Welt besteht nicht in neuen Maßnahmen, sondern in neuen Gesinnungen zitierte er Albert Schweitzer. Er widmete sich einem Themenwunsch der Teilnehmer aus dem letzten Kongress „Der Kunde ist solange König, wie er sich als König benimmt. Er leitete aus den Kardinalstugenden ab, was dialogisch auf der Seite des Dienstleiters und des Kunden an Haltung notwendig ist, damit eine gegenseitige befruchtende und nachhaltige Beziehung entstehen kann und mehr ist, als ein rein wirtschaftliches Geschäft. „Wirtschaftliches handeln und das Konsumverhalten ist letztendlich auch eine Frage des Selbstwertgefühls.“

Dachdeckermeister und Unternehmern Peter Löw aus Bad Homburg berichtete mit Stolz von der Entwicklung seines Traditionsbetriebs über mehrere Generationen: „80-90 Prozent der Frankfurter Hochhäuser haben ihre Dächer von uns.“ Heute leiten seine Söhne das Unternehmen als Aktiengesellschaft, an der die Mitarbeitenden zehn Prozent der Anteile besitzen. Er selbst sei noch beratend tätig, aber „ab einem gewissen Alter schadet man dem Unternehmen mehr, als man ihm nützt“, so Löw schmunzelnd.

„Vielfalt erleben: Jeder bringt seine Werte mit.“

Angelika Werner, Vice President der Frankfurt School of Finance & Management, berichtete im Gespräch mit Moderatorin Manuela Wehrle, wie wichtig die Vielfalt der Menschen in der Wirtschaft ist. „Ich liebe es, dass diese Stadt so multikulturell und lebendig ist“, so die Wahl-Frankfurterin. An der Hochschule selbst sieht es ähnlich aus: Viele Studierende und Lehrende kommen aus Asien, Nord- und Süd-Amerika. Jeder bringt seine Werte mit – eine lebendige Vielfalt auf dem Campus im Frankfurter Norden. „Der Schlüssel für das Zusammenleben dieser diversen Gemeinschaft ist der Respekt vor dem Individuum. Wir erleben das als eine wertvolle Bereicherung“, so Werner.

Stephan Welp, geschäftsführender Gesellschafter der Microbox GmbH erzählte über die Erfolgsgeschichte seines Unternehmens. Im Interview mit Manuela Wehrle verriet er, dass das Erfolgskonzept seines Unternehmens die multikulturelle Zusammensetzung und hohe Sprachkompetenz seiner Mitarbeitenden ist. Damit holt er sich gleichzeitig internationales know how in sein Unternehmen, um passgenaue Kundenlösungen zu entwickeln. Er setzt dabei auf viele Teilzeitkräfte, überwiegend Frauen. Auf diese Weise schafft er es, nicht nur weltweit tätig zu sein, sondern die internationale Vielfalt auch in der Unternehmenskultur zu etablieren, um so den Geschäftspartnern auf gleicher Augenhöhe zu begegnen.

„Kapitalismus und Ökologie müssen keine Gegensätze sein“

Im dritten Themenblock des 6. Oberurseler Werte- und Wirtschaftskongresses stellte der Wiener Aktivist Christian Felber das Konzept der Gemeinwohlökonomie vor. Dabei geht es um eine wertebasierte Marktwirtschaft, bei der nicht Wettbewerb und Profit im Mittelpunkt stehen, sondern die Unternehmen mit dem Ziel des größtmöglichen Nutzens für alle kooperieren. Öffentliche Institutionen und Unternehmen können sich nach den Prinzipien der Gemeinwohlwirtschaft prüfen und zertifizieren lassen. Dabei geht es um Optimierungen in allen Bereichen, von der Zulieferkette bis zum gesellschaftlichen Umfeld. „Dieser Weg ist ein jahrelanger Prozess, der alle Bereiche des Unternehmens betrifft und Zeit braucht“, so Felber, „dabei ist das Konzept des Gemeinwohls eigentlich nicht neu, der Stammvater dieses Begriffs ist Thomas von Aquin.“

Mit Felber diskutierten im Anschluss Vertreter*innen aus verschiedenen Bereichen. Ralf Laumer vom Landkreis Marburg-Biedenkopf berichtete von den ersten Gemeinwohl-Zertifizierungen von Eigenbetrieben des Landkreises. „Der Anstoß dazu kaum aus der Zivilgesellschaft“, so Laumer, „Unsere Handlungsspielräume sind durch viele Pflichtaufgaben begrenzt, aber die Agenda verändert sich.“

Prof. Dr. Christian Neddens von der Lutherischen Theologischen Hochschule fragte: „Muss ich mich über Leistung definieren?“ Für das Zusammenleben sei eine Gemeinwohlorientierung immer besser als eine materialistische.

„Vieles haben wir schon richtig gemacht“

Christiane Hütte, Inhaberin des Hotel Villa Orange in Frankfurt, hat ihren Betrieb nach Gemeinwohl-Aspekten zertifizieren lassen. „Vieles haben wir schon richtig gemacht“, beschreibt sie das Ergebnis der ersten Bilanzierung des Hotels. Aber es seien noch viele kleine Schritte, um den Werten wie Menschenwürde und Solidarität in allen Bereichen bewusst Rechnung zu tragen. „Es ist ein Paradigmenwechsel und Umdenken nötig“, sagte Hütte. Die Menschen bewegen Themen wie Klimawandel und Ungerechtigkeit, sie suchen mehr Sinn und Werte.

Zum Abschluss der Diskussion sagte Christan Felber: „Wo die bisherige ökologische Bildung Kapitalismus und Ökologie als Gegensätze sieht, stellt die Gemeinwohlökonomie eine Verbindung her.“

Mit diesen kritischen und doch positiven Anregungen schloss der 6. Oberurseler Werte- und Wirtschaftskongress. Der nächste Kongress ist für 2023 geplant. Er soll wieder als Präsenzevent stattfinden und nach den guten Erfahrungen zusätzlich auch online ausgestrahlt werden. „Durch die digitale Teilnahme haben wir die Möglichkeit, auch Menschen in der ganzen Bundesrepublik und darüber hinaus zu erreichen“, so Michael Reuter.